»Das ist hier genau mein Ding«, entfährt es einem hochaufgeschossenen Mann, während er den Stiel seines Weinglases zwischen Daumen und Zeigefinger zirkulieren lässt. Vergnügt lässt er den Blick durch den großen Raum schweifen, ehe er das nächste »Ding« fokussiert. »Hochheimer Herrnberg Riesling Trocken Rheingau«, weist das Etikett auf der Weinflasche vor ihm aus. Und darunter farblich abgesetzt: »VDP.Erste Lage.«
Der Mann ist zu Gast auf der Herbstpräsentation des Weinguts Künstler im hessischen Hochheim am Main. Sortiert nach Stil, Rebsorten und Lagen sieht er sich Dutzenden von Weinen gegenüber, die auf einer mehrere Meter langen Tafel platziert sind. Äußerst einladend ist hier aufgemacht, was die Besucher der verschiedenen Räumlichkeiten probieren und später selbst gerne aufmachen sollen: Weine aus Hochheim.
Zu Gast in Hochheim
Hochheim am Main wohlgemerkt. Der Fluss ist ein Muss, denn Hochheime gibt es insgesamt acht auf der Welt, allein sechs in Deutschland, aber nur eines im Rheingau. Rheingau, Sie lesen richtig. Denn trotz seiner Lage am Main zählt dieses Hochheim zum Rheingau, und zwar zum oberen. Wie das gesamte Anbaugebiet genießt der Ort einen Weltruf für seine Rieslinge, was uns direkt wieder hineinführt ins Weingut Künstler.

Der Mann macht einen Schritt nach links und Platz für ein ihm an Lebensjahren vorauseilendes Pärchen, dem der Sinn ebenfalls nach frischen Weißweinen steht. Wen wundert´s bei 34 Grad Außentemperatur? »Einmal die Hölle bitte«, sagt die dazugehörige Dame und meint damit einen Riesling, der keineswegs schmeckt, wie er heißt.
»Hölle« ist die Bezeichnung einer Weinbergslage, von der es in Hochheim am Main insgesamt zehn gibt. Sie gehört zur Großlage Daubhaus, die daneben weitere ruhmreiche Lagen wie den Königin-Viktoria-Berg, die Domdechaney oder das Kirchenstück umfasst. Auch Gunter Künstler, Chef des gastgebenden Weinguts, besitzt hier diverse Rebstöcke, die Jahr für Jahr Großes in die Trauben zaubern. Nach der Lese macht sich das Künstler-Team daran, den Geschmack jeder Lage in seiner Individualität abzubilden.

Zurück am Verkostungstisch: Die Dame möchte zunächst das »Kabinettstück« probieren, später jedoch – davon ist auszugehen – wird sie auch das Große Gewächs der »Höllen-Lage« verkosten. Denn die GGs (wie die Aushängeschilder des deutschen Weinbaus kurz genannt werden) sind die auf Flasche gefüllten Zugpferde dieser Herbstpräsentation.
Das Weingut Künstler lädt ein
Gunter Künstler ist nicht nur ein versierter Winzer, sondern auch ein umsichtiger und ebenso umtriebiger Geschäftsmann. Das merkt man an Veranstaltungen wie dieser. Das eigene, dafür wie gemachte Gutsgebäude wird von Freitagmittag bis Sonntagabend zum spannenden Verkostungsschauplatz für das weinbegeisterte Publikum.
An drei Wochenenden im Jahr (einmal im Mai, zweimal im September) beweisen Gunter und sein Team auf einer Frühjahrs- und einer Herbstpräsentation zahlreichen Gästen, warum der Name Künstler in der Weinwelt einen herausragenden Klang besitzt. Dabei warten neben den exzellenten Rieslingen auch Künstler-Weine aus Spätburgunder, Chardonnay, Sauvignon Blanc, Grüner Veltliner und Alvarinho auf die Besucher.

Dem Lockruf einer Produktpräsentation in Hochheim folgen aber auch Weingüter, -händler und Destillerien selbst. Wie die Künstlers, sind sie alle im Premiumbereich etabliert und bereichern als Gastweingüter jedes Mal das Spektrum der dargebotenen Köstlichkeiten. Auch wir begeben uns mitten hinein in dieses Geben und Nehmen zur diesjährigen Herbstpräsentation auf dem Weingut Künstler.
Familie Rothschild ist auch dabei
»Baron Philippe de Rothschild«, liest eine Besucherin laut von einem Banner ab, als sie sich unserem Stand nähert. »Lebt der überhaupt noch?«, schiebt sie hinterher und stellt unser Verkaufsteam gleich mal auf die Probe. »Der Baron selbst lebt nicht mehr, aber wir haben sehr langlebige Weine von ihm dabei, die Sie gerne probieren dürfen«, antwortet mein Kollege schlagfertig und eröffnet der Frau die wundersame Welt der Familie Rothschild. Sowohl bei uns im Webshop, als auch an diesem Wochenende ist sie ein spannendes und wohlschmeckendes Thema. Wir haben den Besuchern eine interessante Auswahl der prächtigen Erzeugnisse mitgebracht.

Schnell wird uns klar, dass wir in den kommenden Tagen etwas Aufklärungsarbeit leisten müssen. Denn nicht jedem Besucher ist bewusst, dass Baron Philippe de Rothschild nicht für ein einzelnes Weingut, sondern für ein ganzes Ensemble an Weingütern steht. Da wäre etwa die Domaine de Baronarques, die im südfranzösischen Languedoc beheimatet ist (für die Experten: in der Appellation Limoux). Sie liegt damit außerhalb jenes Gebietes, in dem die Weindynastie Rothschild ihren Ursprung hat: dem Bordelais.
Natürlich haben wir auch Weine aus dem Bordeaux in unserem Programm. Château d´Armailhac und Château Clerc Milon stehen für die Besucher zur Verkostung bereit, ersterer gar in zwei Jahrgängen. — Der schon trinkreife, tief nach reifen Brombeeren, Cassis und Gewürzen duftende 2006er tritt gegen den noch sehr jungen, vom Tannin geprägten, aber dennoch sein Potential offenbarenden Ausnahmejahrgang 2015 an. Die Chance, zwei unterschiedliche Reifestadien eines hochklassigen Bordeauxweins zu probieren, lassen sich unsere Besucher nicht entgehen…
Die meisten Gäste beginnen jedoch mit den Chilenischen Weinen, denn auch in Chile besitzen die Rothschilds Weingüter. Sie probieren also unsere »Escudo Rojos«. »Das bedeutet rotes Schild«, sage ich, während ich einem Mann einen Schluck Escudo-Rotwein einschenke. »Ich weiß«, entgegnet dieser, lächelt und trinkt. Er kenne noch die ersten Jahrgänge vom Anfang der 2000er und wolle mal schauen, ob die Qualität noch stimme. »Sie stimmt«, sagt er schließlich und wendet sich zufrieden den französischen Gewächsen zu.

Rothschild im Rheingau – diese Mischung macht aufmerksam. Wir sind gefragt mit unserem Angebot, kämpfen aber gegen höhere Mächte. In Hochheim ist an diesem Wochenende Hochsommer, in den Verkostungsräumen steht die Luft. Viele wollen die erfrischenden Rieslinge der Nachbarstände probieren, bevor sie sich den schwereren Rothschild-Weinen zuwenden.
»Immerhin reift der Riesling heute ordentlich weiter«, sagt ein älterer Herr, der sich die Stirn trocken tupft, »den tragen wir Hochheimer von Natur aus im Herzen.« Während er das sagt, nippt er vom Domaine de Baronarques Grand Vin Rouge. Dann stellt er das Glas ab und nickt anerkennend.
Rotweine in einer Riesling-Hochburg zu verkaufen ist eine Herausforderung. Gut, wenn man dabei auf die Künste von Baron Philippe de Rothschild bauen kann. Denn große Weinkunst ist man hier gewohnt in Hochheim am Main. Wohl nirgendwo mehr als auf dem Weingut Künstler.
